Knapp eine halbe Million Asylanträge sind beim Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) anhängig, 35.000 davon liegen in den inzwischen sechs Standorten des BAMF in Berlin vor. Dieser hohen Zahl von Anträgen stehen in Berlin-Spandau 18 Anhörer gegenüber. Und wenn man weiß, wie akribisch, genau und verantwortungsbewusst dort gearbeitet wird, dann lässt sich verstehen, dass jede einzelne Befragung vor allem Zeit braucht.
Sebastian Kollberg ist einer dieser Anhörer. Er kam Ende April 2016 zum BAMF und ist einer der Juristen, die ihr erstes Staatsexamen haben, auf ihr Referendariat warten und derzeit vom BAMF umworben sind. Der 24-jährige war vorher in der Flüchtlingshilfe aktiv und hat Deutsch unterrichtet. „Die Arbeit hier gibt mir eine ganz neue Sichtweise“, erzählt er. „Meine Verantwortung ist mir jeden Tag bewusst.“
Das Büro ist karg ausgestattet: Aktenschrank, Schreibtisch mit Computer, Landkarten an den Wänden als einziger Raumschmuck, ein kleiner Beistelltisch, Stühle für Antragsteller und Dolmetscher, eine Karaffe mit Wasser, Gläser und eine Box mit Papiertaschentüchern, für den Fall, dass die Tränen fließen. „Man sitzt neun Stunden und länger jeden Tag an der vordersten Front, da muss man schon mit Menschen zu tun haben wollen“, sagt Kollberg und nach einem kurzen Zögern dann: „Aber die Aufgabe ist einfach sehr wichtig.“
Sebastian Kollberg ist schon im Nahen Osten unterwegs gewesen, das kommt ihm heute oft zugute. Drei Wochen Schulung hat er absolviert und jetzt, nach vier Monaten, hört er sich schon wie ein alter Hase an. Sein Vertrag läuft für ein halbes Jahr, aber er möchte gerne weitermachen, wenigstens noch mal sechs Monate. „Die Antragsteller sind froh, wenn sie ihre Asylgründe schildern können. Dabei wird es auch oft sehr emotional, ich habe auch schon Ohnmachtsanfälle erlebt und viele Weinkrämpfe.“ Der Austausch mit den anderen Kollegen und Kolleginnen hilft ihm immer wieder, sich selbst zu stabilisieren. Denn eines ist ihm vollkommen klar: „Meine Akte, das was ich aufschreibe, was ich empfehle, hat großen Einfluss auf den Entscheider.“ Entsprechend ernst nimmt er auch seine Tätigkeit.
Jeder soll zu seinem Recht kommen
Kollberg ist wichtig, dass jeder Einzelne, der ihm gegenüber sitzt, zu seinem Recht kommt. Doch das wiederum erfordert Zeit.
Viele Asylbewerber haben mit Behörden schlechte Erfahrungen gemacht. Deshalb ist es für die Anhörer gar nicht leicht, so etwas wie eine angenehme Gesprächssituation herzustellen, in der die Asylsuchenden sich trauen, auch schlimme Erfahrungen zu erzählen. Vor allem sind die Anhörer auch oftmals die ersten Menschen, die wirklich zuhören.
Am einfachsten ist für beide Seiten, wenn ein Flüchtling Ausweispapiere dabei hat. Wenn sich aber jemand beispielsweise als Syrer ausgibt und keinen Pass und auch keine anderen Personaldokumente vorlegen kann, ist Kollberg erst einmal extrem wachsam. Dann beginnt die eigentliche Arbeit. Wie lässt sich die Identität des Bewerbers feststellen, da muss er viel nachfragen, da spielen Alltagsdinge aus dem angeblichen Heimatland eine große Rolle, was weiß der Asylsuchende über seine angebliche Heimatstadt und „da ist oft gesunde Skepsis angesagt“, aber Sebastian Kollberg sagt dann auch so etwas wie: „Ich höre gerne zu, ich interessiere mich für alle Länder“, egal ob die Menschen aus Syrien, Afghanistan, Irak, Turkmenistan, dem Senegal, aus Ägypten oder Mali kommen.“ Er ist aber nicht naiv: „An schlechten Tagen gehe ich nach Hause und weiß, dass mir vielleicht nicht die ganze Wahrheit erzählt wurde.“ Und dennoch: „Neun von zehn Fällen sind schwierig, doch dann gibt es den zehnten Fall und da erzählt jemand von seinem Gefängnisaufenthalt“ und dann weiß er, warum er da sitzt. „Ich mache die Arbeit gerne. Ich kann dazu beitragen, Menschen Schutz zu gewähren, die ihn benötigen.“
Asyl ist in Deutschland ein Grundrecht
Das Grundgesetz in Deutschland schreibt Asyl für politisch Verfolgte vor. Außerdem greift auch der Schutzstatus nach der Genfer Flüchtlingskonvention, die am 28. Juli vor 65 Jahren verabschiedet wurde. Hier ein Passus aus dem Dokument:
Ein Flüchtling ist eine Person, die „. . . aus der begründeten Furcht vor Verfolgung wegen ihrer Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder wegen ihrer politischen Überzeugung sich außerhalb des Landes befindet, dessen Staatsangehörigkeit sie besitzt, und den Schutz dieses Landes nicht in Anspruch nehmen kann oder wegen dieser Befürchtungen nicht in Anspruch nehmen will . . .“ (Genfer Flüchtlingskonvention von 1951).
Außerdem greift in Deutschland noch der subsidiäre Schutz bei Menschen, wenn weder der Flüchtlingsschutz noch die Asylberechtigung gewährt werden können und im Herkunftsland ernsthafter Schaden droht. Auf der Internet-Seite des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge steht dazu folgendes:
Als ernsthafter Schaden gilt:
- die Verhängung oder Vollstreckung der Todesstrafe,
- Folter oder unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Bestrafung oder
- eine ernsthafte individuelle Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit einer Zivilperson infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen bewaffneten Konflikts.
Die entscheidende Frage ist, was den Menschen bei einer Rückkehr in ihre Heimat droht. Bei den Beurteilungen der Aussagen kann durchaus der aktuelle Herkunftsländerbericht des Auswärtigen Amtes eine Hilfe sein.
In den Asylverfahren haben Anhörer, Dolmetscher und die Entscheider große Verantwortung und das verlangt hohe Integrität. Es erfordert aber auch eine gute Selbstfürsorge. Denn die Anhörer sind tagtäglich mit hoch komplizierten und auch leidvollen Erfahrungen konfrontiert. Vielleicht ist es da ganz gut, wenn Sebastian Kollberg sich beim Modellbau und der Herausgabe einer Modellbauzeitschrift entspannen kann.
RSS