Kanzleiorganisation

Klagen für die Freiwilligkeit

Klagen für die Freiwilligkeit

Soll die Nutzung des beA freiwillig sein?  Vier Kläger und eine neue Rechtsverordnung

Die Justiz setzt zukünftig verstärkt auf den elektronischen Rechtsverkehr. Es sah zunächst alles ganz einfach aus: das beA sollte ursprünglich am 1.1.2016 am Start sein. Alle Anwälte wären damit empfangsbereit. Die BRAK verschob dann Ende vergangenen Jahres aus softwaretechnischen Gründen den Start auf den 29. September 2016, Anfang Juni urteilte der AGH in einem Eilverfahren im Sinne der vier Antragsteller, dass es für die Empfangsbereitschaft ausdrücklich einer Zustimmung der Nutzer bedarf.

Festgeschrieben ist der ERV im Gesetz zur Förderung des elektronischen Rechtsverkehrs mit den Gerichten aus dem Jahr 2013. Daraus folgten dann Neuregelungen in der Zivilprozessordnung und in anderen Verfahrensordnungen, die neue elektronische Zugangswege zur Justiz ermöglichen. Das Gesetz verpflichtet die Bundesrechtsanwaltskammer (BRAK) gem. § 31a BRAO das besondere elektronische Anwaltspostfach (beA) für alle Anwälte einzurichten. Dann kam es zu dem Eilverfahren vor dem Anwaltsgerichtshof.

Verfahren vor dem AGH vs. Rechtsverordnung

Derzeit arbeitet das Bundesjustizministerium an einer Rechtsverordnung, die den Rechtsanwälten beim beA generelle Nutzungsfreiheit bis zum 1.1.2018 einräumt. Wenn alle Beteiligten zustimmen – auch der Bundesrat in seiner Sitzung am 23. September – könnte das beA ab 29. September in Betrieb gehen. Aber es ist immer noch ein Hauptsachverfahren beim Anwaltsgerichtshof in Berlin anhängig.

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Rechtsanwälte Adrian Hoppe und Dr. Marcus Werner

Die Diskussionen, wie sie jetzt laufen und möglicherweise auch die Aktivitäten beim Bundesjustizministerium, wurden möglicherweise von vier Rechtsanwälten in Deutschland angeschoben. Antragsteller sind Rechtsanwalt Dr. Marcus Werner (51) sowie der 32jährige Adrian Hoppe, ebenfalls Rechtsanwalt in der Kölner Kanzlei Werner Rechtsanwälte Informatiker, und die Brüder Martin (58) und Patrick (49) Heidemann aus der Berliner Kanzlei Heidemann & Dr. Nast.

Die Kanzlei Werner R I ist bekannt für ihre IT Expertise und Rechtsanwalt Julius Oberste-Dommes (38), der intensiv in das Verfahren am AGH eingebunden war, stellt im Gespräch mit kanzleiLIFE als erstes klar: „Wir werden nicht müde zu betonen, dass wir große Fans des beA sind, vor allem im Hinblick auf den täglichen Workflow.“ Aber damit hat sich dann auch die Begeisterung.
Der Rechtsstreit hat mit der zwangsweise passiven Empfangsbereitschaft für das beA zu tun. Jeder Rechtsanwalt, so die Auffassung der BRAK, ist nach der Freischaltung des elektronischen Postfachs verpflichtet, immer wieder nachzusehen, ob dort Post für ihn bereit liegt, unabhängig davon ob er auch aktiv mit beA arbeitet oder nicht.

Rechtsanwalt Oberste-Dommes sieht auch viele Vorteile des beA, vor allem wenn es um den Austausch von großen Datenmengen geht. Und er bekräftigt: „Wir freuen uns auf die immensen Vorteile des technisch-organisatorischen Teils.“ Aber sie seien eben auch Anwälte und sie könnten den Eingriff der BRAK in die Berufsausübungsfreiheit nicht akzeptieren. Die Verpflichtung zur passiven Empfangsbereitschaft durch die BRAK bezeichnet er als „rechtswidrig“. Seiner Ansicht nach muss den Anwälten die Wahl gelassen werden, welchen Weg sie für den elektronischen Rechtsverkehr nutzen. „Die BRAK hat das so nie kommuniziert“, sie habe im Gegenteil eine Art Drohgemälde gezeichnet, dass die Anwälte möglicherweise ein Haftungsproblem haben, wenn sie beA nicht im Auge behalten. „Es gibt aber keine ausdrücklich angeordnete Pflicht“, argumentiert Rechtsanwalt Oberste-Dommes.

Von dieser Argumentation hat sich der II. Senat des AGH Berlin offensichtlich überzeugen lassen. Wie schon gesagt, die BRAK darf das beA für momentan drei der vier Antragsteller nur freischalten, wenn sie ausdrücklich damit einverstanden sind. Gleichzeitig droht der AGH der BRAK bei Zuwiderhandlungen die üblichen Ordnungsmittel an (Ordnungsgeld bis zu 250.000 € und auch eine mögliche Ordnungshaft für den derzeitigen BRAK Präsidenten Ekkehard Schäfer).

Der Anwaltsgerichtshof Berlin sieht in der passiven Nutzungspflicht ebenfalls wie der Antragsteller einen Eingriff in die anwaltliche Berufsfreiheit nach Art. 12 Abs. 1 GG. Der Eingriff sei durch eine gesetzliche Grundlage nicht gerechtfertigt. § 31 a Abs. 1 S. 1 BRAO verpflichte die BRAK zwar, für jeden Rechtsanwalt ein beA einzurichten, aber nicht, es auch zwingend für den Empfang freizuschalten.

Rechtsanwalt Oberste-Dommes sieht hier eindeutig das Problem. „Die BRAK hat das beA technisch so eingerichtet, dass mit der Einführung auch die Freischaltung kommt, ohne dass irgendwer zustimmt.“ Diese Pflicht der beA-Nutzung ab 2018 ist vom Gesetzgeber intendiert. Und könnte dann mit der neuen Verordnung definitiv zu diesem Zeitpunkt festgeschrieben werden.

Die Verpflichtung zur passiven Nutzung, also das Nachschauen ob Post im beA liegt, ob etwas zugegangen ist, ist für die Rechtsanwälte deshalb so problematisch, weil sie als Anwälte dafür haften, wenn sie Posteingänge übersehen. Dazu gibt es einige Gerichtsurteile. Das Postfach wird ja oft mit einem einfachen Briefkasten verglichen und der AGH sagt, dass es auch einen Empfänger geben muss, der seinen Namen an diesem Briefkasten anbringt und damit signalisiert, das ist mein Briefkasten, hier schaue ich regelmäßig nach meiner Post. Das sei aber bei der beA Zwangseinrichtung nicht der Fall.

Die Brüder Heidemann aus Berlin haben bereits im Frühjahr das Hauptsacheverfahren eingeleitet. Dazu gibt es bisher noch keine Erwiderung der BRAK. Martin und Patrick Heidemanns Bedenken gehen über die Einschränkung der Berufsfreiheit hinaus. Sie haben auch starke datenschutzrechtliche Bedenken. Sie befürchten unter anderem, dass aufgrund der Verschlüsselung der Daten und dem möglichen Zugang nichtprofessioneller Einreicher zum Beispiel über den Governikus Communicator Kanzleien regelrecht mit Spams überschüttet werden können.

BMJV will den Anwälten eine freiwillige beA-Nutzung bis 1.1.2018 ermöglichen

Einen Termin für das Hauptsacheverfahren beim AGH gibt es derzeit noch nicht. Inzwischen ist das Bundesjustizministerium aktiv geworden und versucht mit der Verordnung über die Rechtsanwaltsverzeichnisse und die besonderen elektronischen Anwaltspostfächer (RAVPV) die Probleme aus dem Weg zu räumen. Entscheidend ist der § 31 RAVPV: „Bis zum 31. Dezember 2017 besteht keine Verpflichtung des Postfachinhabers, die für die Nutzung des besonderen elektronischen Anwaltspostfachs erforderlichen technischen Einrichtungen vorzuhalten. Zustellungen und den Zugang von Mitteilungen über das Postfach muss der Postfachinhaber bis zu diesem Zeitpunkt nur dann gegen sich gelten lassen, wenn er zuvor seine Bereitschaft zu deren Empfang über das besondere elektronische Anwaltspostfach erklärt hatte.“ So sieht es der Referentenentwurf vor.

Nun könnte man diesen Text schlicht so interpretieren: Bis 1.1.2018 braucht kein Anwalt das beA zu nutzen und die Verordnung spricht auch jeden Anwalt von einer möglichen Haftung frei, falls es zu einem Haftungsprozess kommen sollte, weil der Rechtsanwalt nicht in sein beA geschaut hat. Wie gesagt, so lässt sich die Verordnung auslegen. Die BRAK kann sich mögliche technische Verbesserungen zum Beispiel für die individuelle Freischaltung der einzelnen Postfächer sparen (da waren zusätzliche Kosten von rund 450.000 € im Gespräch) und eigentlich könnte jetzt alles so laufen wie geplant.

Indessen stellt sich die Frage, ob durch eine Rechtsverordnung eine Haftung der Anwälte tatsächlich ausgeschlossen werden kann. Das beA steht zur Verfügung, hat der Rechtsanwalt deutlich genug gemacht, dass er tatsächlich nicht damit arbeitet, muss er nicht doch täglich nachschauen, ob drinnen Post für ihn liegt? Alles Fragen, die möglicherweise im Hauptsacheverfahren der Brüder Heidemann in Berlin geklärt werden. Die Angst der Rechtsanwälte vor einem Haftungsprozess und damit vor Vertrauensverlust von Seiten der Mandanten ist durch die neue Rechtsverordnung sicher nicht genommen.

Und letztlich bleibt auch über den 1.1.2018 hinaus die Frage, warum eigentlich das beA die einzige Möglichkeit sein sollte, elektronisch mit den Gerichten zu kommunizieren. Das Problem, dass den Anwälten die freie Wahl in ihrer Form der Kommunikation beschnitten wird, besteht auch über dieses Datum hinaus.

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