Motto: Rechtspraxis digital: Probleme bewältigen – Zukunft gestalten
(shg) – Der 27. Deutsche EDV-Gerichtstag 2018 in Saarbrücken war im sonnigen September besser besucht denn je. Etwa 900 Teilnehmer unterstreichen das eigene Empfinden des kanzleiLIFE-Teams vor Ort: Die Digitalsierung ist Realität und wird trotz der nach wie vor existierenden Zweifler weder aufgehalten noch in Frage gestellt. Daher treffen sich die interessierten Teilnehmer jährlich an der Universität des Saarlandes, um – wie im Titel ersichtlich – mit zu gestalten und die Vorteile der Digitalisierung aktiv zu nutzen.
Prof. Dr. jur. Stephan Ory, Vorsitzender des Vereins Deutscher EDV-Gerichtstag e.V., betont denn auch, dass er realistische Chancen sieht, die Vorteile der sich rasant entwickelnden Künstlichen Intelligenz (KI) für die Welt der Juristen nutzbar zu machen und dass die damit einhergehenden Risiken durchaus beherrschbar sind. Eine enge interdisziplinäre Zusammenarbeit zwischen dem Deutschen Forschungszentrum für Künstliche Intelligenz (DFKI) und dem Institut für Rechtsinformatik weist den Weg. Die Ängste vor der „allmächtigen“ KI konnten die Key-Note-Speaker Prof. Dr. Wolfgang Wahlster (DFKI) und Patric Fedlmeier, Vorstandsvorsitzender der Provinzial Rheinland Versicherung und Leiter der Fachgruppe IT im Gesamtverband der Deutschen Versicherungswirtschaft (gdv), den Zuhörern nehmen. Es ist nicht realistisch und auch nicht zu erwarten, dass Juristen durch Algorithmen ersetzt werden.
KI als juristische Assistenz
Es geht bei der KI und ihren Vorstufen (wissensbasierten Systemen) um eine arbeitserleichternde Nutzung als juristische Assistenz. Und dazu müssen Systeme, wie Prof. Wahlster ausführte, zunächst einmal weiter darin geschult werden, zu lernen und Sprache zu verstehen. Nur dann wird es möglich werden, sie juristisch zu nutzen. Die Möglichkeit, sowohl Gesetze als auch Urteile und Schriftsätze zu verstehen und dann auszuwerten, würde Anwälten und Richtern gleichermaßen mühevolle manuelle Arbeiten ersparen.
So nennt er als Ziele zur Beherrschung der juristischen Datenflut etwa die selbstlernende Anomalieerkennung, die Filterung und Verdichtung, das Aufdecken unbekannter Zusammenhänge und die Identifikation von Einflussfaktoren. Damit wird die KI die Arbeit von Juristen stark unterstützen, sie aber nie ersetzen. Der persönliche KI-Assistent für Juristen hingegen wird nach seiner Auffassung jedoch in wenigen Jahren allgegenwärtig sein.
Selbst nach einer optimalen Subsumtion wird in komplexeren Fällen immer ein Mensch die Besonderheiten des Einzelfalles beurteilen müssen. Und auch das Herausfiltern einer Schuldhaftigkeit bleibt für die Technik verschlossen.
Süffisant und mit einem Augenzwinkern schlussfolgert Prof. Wahlster dennoch, dass künstliche Intelligenz in einigen Lebensbereichen immer noch besser sei als natürliche Dummheit.
KI in der Versicherung
In seinem kurzweiligen Vortrag „Künstliche Intelligenz in der Assekuranz – Vom Vertrag bis zur Schadenregulierung“ stellte Patric Fedlmeier eines besonders heraus: Im Rahmen der Digitalisierung gilt es, jeden alten Arbeitsprozess zunächst auf den Prüfstand zu stellen, um zu klären, ob er gut und nötig ist. Nach seiner Meinung kann es nicht Ziel sein, einfach nur vorhandene Prozesse der Reihe nach digital abzubilden, egal wie schlecht sie sind. Es entstehe derzeit die Chance, mit der Digitalsierung neue, bessere Prozesse aufzubauen. Dies war im Übrigen auch im Arbeitskreis zu hören. Es mache keinen Sinn, Arbeitsprozesse aus dem vorletzten Jahrhundert nun 1:1 in die digitale Welt zu übertragen. Dr. Ralf Köbler, Präsident des LG Darmstadt, meint vielmehr, es sei nun an der Zeit, die Möglichkeiten der IT gezielter zu nutzen, um einen Mehrwert zu generieren. Aber zurück zum Vortrag aus dem Versicherungswesen: Patric Fedlmeier vertritt und beweist die Vorteile des Ansatzes bei der Provinzial. Der heißt: Der Prozess steuert alles. Es geht um Abläufe – intern wie extern –, die intelligent die gesamten Arbeitsabfolgen, beispielsweise bei der Schadenregulierung, anstoßen.
Durch die gezielte Nutzung von KI-Techniken spart die Provinzial allein beim Thema Kündigungen in der KFZ-Versicherung Manpower und damit Kosten und Zeit. Jedes Jahr im November haben die Kunden in der KFZ-Versicherung ein Kündigungsrecht, von dem viele Gebrauch machen. Allein in diesem Segment ist eine implementierte KI-Lösung bei der Provinzial in der Lage, fast 80 Prozent der Kündigungen – die analog per Brief kommen und gescannt werden sowie die, die per E-Mail ankommen, vollautomatisch zu verarbeiten. Das System erkennt aus dem Sinnzusammenhang, ob es sich bei der Korrespondenz um eine Kündigung handelt. Durch die Nutzung von semantischen Erkennungsverfahren kann sogar die anschließende Kundenansprache automatisch individualisiert werden. Ergebnis ist eine multimediale Angebots-Box, die den unterschiedlichsten Kundencharakteren und deren bevorzugten Medien gerecht wird. Schließlich erwarte der Kunde weiterhin eine exzellente Beratung und schnelle Kommunikation, allerdings nun „anytime, anywhere“. „Die Automatisierung der Prozesse befreit Mitarbeiter von Sinn entleerten Arbeiten, gleichzeitig ist Künstliche Intelligenz für die Claims Prediction und damit für die Festsetzung unserer Versicherungsbeiträge ein großer Fortschritt.“, so Fedlmeier, der damit auch einen Ausblick auf mögliche Auswirkungen der Digitalisierung und KI in der Praxis der Rechtsanwaltschaft, Gerichte und Behörden gab.
Beschleunigung von Gerichtsverfahren
„Die Möglichkeiten moderner IT ausschöpfen: Strukturierter Parteivortrag – geht das denn? Das geht.“ Der Arbeitskreis stellt die These auf, dass der bisherige elektronische Rechtsverkehr und die elektronische Akte die Möglichkeiten moderner IT nicht ausschöpfen. Dazu wurden einige Beispiele gegeben. Schwerpunkt war jedoch das Thema des IT-gestützten, strukturierten Parteivortrags im Zivilprozess: Die Vorverlagerung der Strukturierung des Streitstoffs mittels der juristischen Relationsmethode in die Sphäre der Parteien würde zum Einen zu einem konzentrierten Vortrag zwingen. Zum Anderen entstünde daraus eine nicht unerhebliche Steigerung der Arbeitseffizienz bei knappen richterlichen Ressourcen. Vereinfacht gesagt ist es durchaus möglich, anhand eines IT-gestützten Extraktes der gesetzlichen Anspruchsgrundlagen beide Parteien dazu aufzufordern diese sukzessive abzuarbeiten. Dann müsste der Richter nur noch deren Schlüssigkeit prüfen.
Der Arbeitskreis hat im Rahmen der Veranstaltung in das Thema aus methodischer Sicht eingeführt und dabei Bezug genommen auf eine Lehrveranstaltung an der Deutschen Universität für Verwaltungswissenschaften Speyer. Die Zuhörer lernten die Möglichkeiten kennen, um diesen methodischen Ansatz sinnvoll und auf dem Stand der Technik mit Software zu unterstützen.
Dr. Benno Quade, General Counsel der Software AG dazu: „Richter und Anwälte denken schon immer ‚digital‘. Die juristische Subsumtionstechnik eignet sich hervorragend für eine Digitalisierung. Die Relationstechnik ruft förmlich nach digitalen Werkzeugen und Apps, die das Potenzial haben, den Zugang zur Justiz zu revolutionieren und eine noch effizientere Demokratisierung des Zugangs zum Recht zu ermöglichen.“
Im Ergebnis zeigte sich, dass eine Vielzahl von interessierten Juristen auf dem besten Weg sind, um die IT sinnvoll in ihren Berufsalltag zu integrieren – und dies erfolgssteigernd und nicht als Selbstzweck.
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