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Richter mit Laptop statt Papier – Auf dem Weg zur elektronischen Akte

Richter mit Laptop statt Papier – Auf dem Weg zur elektronischen Akte
Pilotprojek e-Akte

Guido Wolf, Justizminister in Baden-Württemberg (rechts) und Alexander Riedel, Präsident des Oberlandesgerichts Karlsruhe (links) bei der Vorstellung des Pilotprojektes e-Akte am Landgericht in Mannheim

Aktenberge, die in Umzugskartons verschickt werden, könnten in der deutschen Justiz bald passé sein. Pilotprojekte schaffen Papierakten ab und setzen auf Digitales. Damit sterben möglicherweise bald die «Gürteltiere» aus.

Mannheim (dpa) – Aktenberge waren Richter Holger Radke immer ein Graus. Vor allem die «Gürteltiere», wie die ganz dicken mehrteiligen Wälzer in Justizkreisen genannt werden, die nur von einer Art Gürtel zusammengehalten werden. «Diese innere Abneigung, die anzufassen, kennt wohl jeder Richter», sagt der Vizepräsident des Mannheimer Landgerichts. Künftig bleiben Radke die papierenen Ungetüme erspart, zumindest großteils: Seit Anfang Juni bekommen vier Mannheimer Zivilkammern alle neuen Fälle als elektronische Akten. Was heute noch selten ist, soll nach und nach bundesweit gängige Praxis werden. Der Laptop gehört dann zu den Richtern wie ihre Robe.

Das Bundesjustizministerium treibt den Wandel voran. «Wir wollen die Ziviljustiz modernisieren und dem technischen Fortschritt gerecht werden», sagt eine Sprecherin. Akten zur Einsicht per Post zu versenden, koste viel Geld und Zeit – vor allem bei «Verfahren in Umzugskartons». In Strafverfahren soll die elektronische Akte laut einem Gesetzentwurf der Bundesregierung von 2026 an verpflichtend sein. In Zivilverfahren gibt es dazu noch keinen Entwurf, es laufen aber in mehreren Bundesländern Pilotprojekte, neben Baden-Württemberg zum Beispiel auch in Bayern und Nordrhein-Westfalen.

Der Mannheimer Projektleiter Radke sieht bei dem elektronischen Verfahren aber auch Gefahren. «Die Sorge vor Hackerangriffen wird man natürlich immer haben müssen», sagt er. «Es wäre vermessen zu sagen, das ist alles sicher, aber man hat schon für die Sicherheit einiges getan.» So lägen die Akten in einem separaten Netz außerhalb des Internets und seien mit Sicherungssystemen geschützt.

Unterm Strich sei der Abschied von der Papierakte ein logischer und richtiger Schritt. «Wenn wir irgendwann nur noch elektronische Eingänge bekommen, wollen wir die natürlich nicht ausdrucken.» Derzeit komme allerdings noch vieles in Papierform an – die Mitarbeiter der Geschäftsstelle müssten für das neue Projekt eine Menge einscannen. Immerhin an einem Hochleistungsscanner.

Für die Richter ändert sich damit das Arbeiten. Der 48-jährige Richter Radke ist angetan von den elektronischen Notizzetteln und der Möglichkeit, eigene Anmerkungen in unterschiedlichen Farben digital in eine Akte einzufügen. Außerdem könne er jetzt gezielt Akten nach einzelnen Wörtern durchsuchen – und werde in wenigen Sekunden fündig. Das lästige Blättern entfalle. Richter könnten mit ihrem Laptop nun auch leichter von zu Hause aus arbeiten, was den Beruf familienfreundlicher mache.

Vor allem Anwälte reichen an den Gerichten Dokumente ein. «Wir freuen uns auf den elektronischen Rechtsverkehr – er ist modern und zeitgemäß», sagt der stellvertretende Hauptgeschäftsführer des Deutschen Anwaltvereins, Swen Walentowski. «Eine elektronische Akte muss man niemals suchen, sie wird niemals verlegt.» Mit einem Klick seien alle auf demselben Stand. Natürlich gebe es aber auch Vorbehalte in seiner Zunft mit Blick auf die neue Arbeitsweise.

Außerdem seien die Voraussetzungen für die technische Umstellung nicht überall gegeben, kritisiert der Anwalt. «Es gibt Gegenden in Deutschland, da dauert es einfach zu lange, Dokumente hochzuladen, weil es keinen gescheiten Breitband-Internetzugang gibt.»

Auch unter den Richtern sind nicht alle so euphorisch wie Radke, der in Mannheim der Zivilkammer 1 vorsitzt. «Die völlige Ablehnung habe ich zwar noch nicht erlebt, aber es gibt schon welche, die skeptisch sind», sagt er. Einige blätterten eben doch lieber in Papier, als mit der Maus zu hantieren. «Wenn die Technik mal versagt, kann man nicht sagen: Ich hab‘ hier ja noch mein Papier.» In der Anfangsphase hake es schon noch hin und wieder. «Ich glaube, dass es anfangs länger dauert, nach einer Umstellungsphase aber schneller gehen wird.

Von Christine Cornelius, dpa

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